Wir heißen Sie herzlich willkommen zu einer neuen Ausgabe der Presseschau an diesem Mittwoch: Neben diversen lokalen Nachrichten aus Norddeutschland spielt das Thema „Renaissance der Kernkraft“ in dieser Woche eine hervorgehobene Rolle. Außerdem blicken wir u.a. nach England und auf das andauernde Schiedsverfahren in New York. Zum gerade veröffentlichten Zwischenbericht der Bundesgesellschaft für Endlagerung haben wir Ihnen ein Trio aus Artikeln zusammengestellt, dass die wesentlichen Facetten des Themas komprimiert abdeckt.
Im Kernkraftwerk Brunsbüttel hat es ein meldepflichtiges Ereignis der geringsten Stufe N (null) gegeben. Bei der Umschaltung von der Stromversorgung über das Stadtwerkenetz hin zur Versorgung über den Anschluss des Gasturbinenwerks an das Höchstspannungsnetz kam es zum Ansprechen eines Überstromschutzes, wie das für die Atomaufsicht zuständige Kieler Energiewendeministerium laut Boyens Medien mitteilte. Dieser Schutz diene vorrangig als Leitungsschutz und begrenzt zugleich zeitlich das Auftreten erhöhter Ströme. Durch das Ansprechen des Schutzes startete demnach spezifikationsgemäß ein Dieselaggregat zur Ersatzversorgung sicherheitstechnisch relevanter Verbraucher:
Laut Kieler Nachrichten, die der NDR zitiert, denke das schleswig-holsteinische Umweltministerium aktuell darüber nach, zunächst 250 Tonnen Schutt aus dem Rückbau des KKW Brunsbüttel auf der Deponie Lübeck-Niemark zu lagern. Eine Diskussion darüber schwele schon seit Längerem. Der zuständige Minister Jan Philipp Albrecht wollte jedoch eine solche Zwangsdeponierung nicht bestätigen: „Nein, es gibt keine Vorfestlegung auf Lübeck“, so der Grünen-Politiker im NDR. Da sich bisher keine Kommune bereit erklärt habe, den Bauschutt aufzunehmen, der beim schrittweisen Abriss des KKW anfalle, wolle das Umweltministerium dies nun bestimmen. Albrecht bestätigte dem Sender, dass der Müll einer Deponie zugewiesen werden solle. Es werde noch intensiv geprüft, wo dies erfolgen könne:
• NDR
Das Kernkraftwerk Brokdorf wird wegen Wartungsarbeiten zeitweilig vom Netz gehen, so die Süddeutsche Zeitung. Dabei würden in den kommenden Wochen auch zum geplant letzten Mal die Brennelemente gewechselt, wie das für Atomaufsicht zuständige Energieministerium laut SZ mitteilte. Sie sollen bis zum Ende der Restlaufzeit des Reaktors reichen. Die bislang verwendeten Brennelemente werden auf erhöhte Korrosion kontrolliert. 2017 waren an Brennelementen Probleme mit Oxidation festgestellt worden. Der Reaktor solle dieses Mal mit Brennelementen aus dem Werkstoff eines anderen Herstellers bestückt werden:
Im Kernkraftwerk Philippsburg habe es eine undichte Stelle an einer Abwasserleitung gegeben, so die Badischen Neuesten Nachrichten. Durch die ausgetretene Flüssigkeit habe keine Gefahr bestanden, es sei nichts nachgewiesen worden. Für den Betreiber des Kernkraftwerks handelt es sich um die Meldekategorie „Normal“, mit keiner oder geringer sicherheitstechnischer Bedeutung auf Stufe 0 nach der internationalen INES-Skala:
• BADISCHE NEUESTE NACHRICHTEN
Mit dem juristischen Streit um den Rückbau der KKW Brunsbüttel und Krümmel und beanspruchte Entschädigungszahlungen für die vorzeitigen Einstellung des Betriebes der Werke beschäftigt sich ebenfalls die Süddeutsche Zeitung. Seit nunmehr acht Jahren streite der schwedische Konzern Vattenfall, der die Werke betreibt, vor einem internationalen Schiedsgericht um Entschädigung für die stillgelegten Meiler. Dies sei besonders kostspielig: Fast 22 Millionen Euro hat der Bund dafür bisher vorschießen müssen, insbesondere für Anwälte, Gutachter und Gerichtskosten. In 2020, so stehe es in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei, seien knapp 3,1 Millionen Euro angefallen. Insgesamt 4,381 Milliarden Euro verlangt das Unternehmen vom Bund, plus Prozesszinsen: Über die Jahre seien so 6,1 Milliarden Euro zusammengekommen. Vattenfall hatte die Klage 2012 nach dem Atomausstieg eingereicht. Der Konzern sieht sich um die Erlöse von Reststrommengen geprellt:
Die Niederlande prüfen einem Bericht der WELT zufolge den Wiedereinstieg in die Kernenergie. Im künftigen Energiemix müsse Kernkraft wieder eine Rolle spielen, zitiert das Blatt Kreise der Regierungspartei VVD. Auf Basis einer Studie sei man zu dem Ergebnis gekommen, dass Kernenergie für die Zeit nach 2030 eine der kosteneffizientesten Optionen zur Bereitstellung regelbarer, CO2-freier Kraftwerksleistung darstelle. Diese Entscheidung, so die WELT, erhöhe den „Rechtfertigungsdruck“ auf die deutsche Bundesregierung:
Auch der Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) Rafael Grossi, sehe im weiteren Ausbau der Kernenergie einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz. „Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass atomare Energie saubere Energie ist, nahezu ohne CO2-Ausstoß“, sagte er dem „Spiegel“ laut der Oldenburger Onlinezeitung. Bei der weltweiten Stromerzeugung ersparten die heutigen Kernkraftwerke demnach zwei Gigatonnen Treibhausgas-Emissionen jährlich:
Der weltweite Ausbau der Atomenergie sei allerdings im Jahr 2020 ins Stocken geraten, so der Branchendienst IWR. Gerade einmal zwei neue Reaktoren seien in diesem Jahr bisher in Betrieb gegangen. Die Renaissance der Kernenergie und einen kräftigen Anstieg der AKW-Leistung bis 2050 sei in der Vergangenheit häufig prognostiziert worden. Die Realität scheine derzeit diese Prognosen jedoch nicht zu bestätigen:
Planänderung in Großbritannien: Der japanische Technologiekonzern Hitachi habe laut IWR den Bau neuer Kernkraftwerke in Großbritannien endgültig begraben. Der Geschäftsbetrieb für das Bauvorhaben und den Betrieb von Kernkraftwerken in Großbritannien („Horizon Project“) werde damit endgültig eingestellt. Hitachi wollte ursprünglich in Großbritannien zwei Kernkraftwerke in Wales bauen und hatte dafür schon früh eine ABWR-Lizenz (ABWR = Advanced Boiling Water Reactor) erworben. Doch im Jahr 2019 habe Hitachi schon die Notbremse gezogen und das AKW-Projekt wegen der unklaren Finanzierung ausgesetzt. Hitachi wolle sich nun mit der britischen Regierung und den einschlägigen Organisationen hinsichtlich einer Zusammenarbeit als Eigentümer der ABWR-Lizenz und der Abwicklung der geplanten Baustellen und anderer Angelegenheiten abstimmen, teilte das Unternehmen dem Bericht zufolge mit:
Die Suche nach einem Endlager für Atommüll sorgt seit Jahrzehnten für Streit. Der mit Spannung erwartete Bericht der Bundesgesellschaft für Endlagerung BGE zur Frage, welche Regionen geologisch zur Endlagerung geeignet sind, wurde nun vorgelegt. Für Überraschung sorgte dabei die Nachricht, dass der Salzstock Gorleben nicht mehr für die Endlagerung in Betracht gezogen wird. Nach dem ausführlichen Bericht der Tagesschau böten nach Erkenntnissen der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) 90 Gebiete in Deutschlandgünstige geologische Voraussetzungen für ein Atommüll-Endlager. Der Salzstock Gorleben in Niedersachsen ist nicht darunter, wie aus dem „Zwischenbericht Teilgebiete“ hervorgeht. Berücksichtige man die Überlagerung einiger Gebiete, ist laut Bericht in Deutschland ein Anteil von 54 Prozent der Landesfläche geologisch für die Endlagerung geeignet. Diese sogenannten Teilgebiete liegen etwa in Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen, aber auch in den ostdeutschen Bundesländern:
Der SPIEGEL beschäftigt sich in einem Beitrag zum Bericht der BGE besonders mit der Frage, warum Gorleben als Standort für ein Endlager nun ausscheide, obwohl die Lage der dortigen Anlagen jahrzehntelang als geeignet betrachtet wurden. Nur aufgrund massiver Proteste der Anwohner und der Antiatomkraftbewegung sei die Festlegung auf Gorleben aufgegeben worden. Gorleben habe zwar alle Mindestanforderungen erfüllt, so zitiert der SPIEGEL den Sprecher der BGE, sei aber in der geowissenschaftlichen Gesamtschau nicht ausreichend gewesen. Das hätte vor allem am „mangelhaften Rückhaltevermögen“ und dem Deckgebirge gelegen, das nicht vollständig intakt gewesen sei. Teilweise sei der Salzstock laut Bericht nur mit lockerem Material bedeckt, durch das über die Jahre Wasser an das Wirtsgestein – also die direkte Hülle des Atomlagers – dringen könnte. Der Standort hätte zudem nicht die Eignung, Radionuklide hinreichend lange zurückzuhalten, insbesondere im Hinblick auf eine sichere Lagerung von einer Million Jahre. Der Beitrag des Magazins beschäftigt sich zudem ausführlich mit der Erläuterung der erforderlichen Struktur der „Wirtsgesteine“ in Deutschland, deren Struktur unabdingbar für eine sichere, dauerhafte Lagerung sei, sowie der Methodik der weiteren Einengung der möglichen Standorte in den kommenden Jahren:
• SPIEGEL
Das Ergebnis des BGE-Berichts hat eine Vielzahl von Pressereaktionen in den genannten Regionen ausgelöst, die hier aufzunehmen den Rahmen des Angebots sprengen würde. Ganz überwiegend wird von lokalem Protest gegen ein Endlager in der jeweiligen Region berichtet. Die FAZ befasst sich in einem Kommentar ortsungebunden mit den zu erwartenden Folgen der Benennung einer Vielzahl von infrage kommenden Regionen. Der Kommentator erwartet überall dort, wo ein Standort in Betracht gezogen werden könne, Proteste, wie man sie bislang gegen den Standort Gorleben kenne. Anders als bislang würden sich daran nun auch kommunale und Landespolitiker beteiligen. Der Verfasser macht auch in Bezug auf die GRÜNEN eine Ironie der Geschichte aus: Die „Kinder der militanten Atomproteste“ seien nun plötzlich die größten Treiber der Suche nach einem neuen Standort, in der Annahme, so wird der Parteivorsitzende Robert Habeck zitiert, dass das Endlager zugleich die letzte Ruhestätte der Atomkraft sein werde:
• FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG