Presseschau vom 22.06.2022

Herzlich willkommen zur neuesten Ausgabe der Presseschau. Unsere Auswahl ist in dieser Woche besonders reichhaltig: Sie finden gleich mehrere Beiträge zu aktuellen deutschen Rückbauprojekten, widmen uns aus politischer und technischer Perspektive der Frage nach Laufzeitverlängerung oder sogar Wiederinbetriebnahme deutscher KKW, geben ein Update zum Thema Taxonomie, blicken in die Schweiz, nach Polen und in die USA und zuletzt erneut nach Brunsbüttel, das als für die deutsche Energiepolitik exemplarischer Standort identifiziert wird. Wir wünschen Ihnen gewinnbringende Lektüre und alles Gute.

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Im Kernkraftwerk Emsland in Lingen sei ein meldepflichtiger Schaden festgestellt worden, so die ZEIT. Bei einer turnusmäßigen Prüfung an einem kleineren Rohr des Abwasseraufbereitungssystems sei an einer Schweißnaht eine beginnende leichte Korrosionsablagerung festgestellt worden, teilte der Kraftwerksbetreiber RWE dem Blatt zufolge mit. Die Ablagerung sei entfernt und die Schweißnaht instand gesetzt worden, eine Gefährdung des Personals, der Umgebung oder der Anlage habe zu keiner Zeit bestanden:

ZEIT

Auch im Kernkraftwerk Brunsbüttel (KKB), das zurzeit abgebaut wird, kam es zu einem meldepflichtigen Ereignis: Dort wurde bei einer wiederkehrenden Prüfung der Objektsicherungstechnik eine fehlerhafte Meldeanzeige festgestellt. Bei Arbeiten zur Klärung dieser Störung kam es zum Ausfall eines Teils der Meldeanlage. Der Fehler wurde durch den Austausch mehrerer Baugruppen behoben, alle nachgeordneten Baugruppen wurden zusätzlich überprüft. Die Störung hatte keine Auswirkungen auf sicherheitstechnisch wichtige Einrichtungen. Der Vorgang wurde der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde als meldepflichtiges Ereignis der Kategorie „N“ (Normalmeldung) angezeigt und mit der hier verlinkten Pressemeldung bekanntgemacht. Das Ereignis liegt unterhalb der sieben Stufen der internationalen Skala zur Bewertung von Vorkommnissen in Kraftwerken („INES 0“):

PERSPEKTIVE BRUNSBÜTTEL

Seit fünf Jahren wird das Kernkraftwerk in Biblis Stück für Stück zurückgebaut. Die Hessenschau meldet, dass aktuell ca. ein Drittel des Rückbaus bewältigt sei, die 2017 begonnenen Arbeiten sollen in 10 Jahren abgeschlossen sein. Insgesamt fielen beim Rückbau ca. 340.000 Tonnen Material an, von denen lediglich knapp 8.000 Tonnen dekontaminiert werden müssten, so der Sender in dem Beitrag, der auch durch ein Video ergänzt wird. Die markanten Kuppeln des KKW würden 2027 allerdings noch immer stehen. Was dann mit ihnen passiere, sei aktuell ungewiss:

HESSENSCHAU

Dem Rückbau des KKW Rheinsberg widmet sich ein Bericht der WELT. Das KKW, das erste wirtschaftlich genutzte Werk in der DDR, wurde ab 1960 nahe der Stadt Rheinsberg auf einer Landenge zwischen dem Nehmitzsee und dem Großen Stechlinsee errichtet, ging 1966 in Betrieb und wurde bereits 1990 stillgelegt. Seit 1995 befindet es sich im Rückbau. Die reich bebilderte Reportage widmet sich der umfangreichen und teuren Rückbauarbeit, die auch lange nach Beginn des Rückbaus noch nicht abgeschlossen ist:

WELT

Drei deutsche Kernkraftwerke laufen noch bis Ende 2022, und neben der FDP fordert auch die CDU die Verlängerung deren Laufzeiten. Es handelt sich dabei um Isar 2 in Bayern, betrieben von der Eon-Tochter PreussenElektra, Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg, betrieben von EnBW, und Emsland in Niedersachsen, betrieben von RWE. Zur Frage einer möglichen Laufzeitverlängerung, so der Tagesspiegel, müssten vor allem drei Fragen geklärt sein: Wie lange das Brennmaterial noch reiche und ab wann neue Brennstäbe verfügbar wären, zudem welches Personal mit der entsprechenden Sicherheitsprüfung nötig werde. Politisch sei das Thema hoch umstritten, wie der Beitrag ausführlich schildert: Zwischen FDP und CDU auf der einen und den Grünen auf der anderen Seite herrsche hier zunehmend auch im offenen Konflikt ausgetragene Uneinigkeit:

TAGESSPIEGEL

Während über die Laufzeitverlängerung auf politischer Ebene noch gestritten wird, meldet die SZ, dass die Frist zur Vorbereitung einer Laufzeitverlängerung des letzten bayerischen Kernkraftwerks inzwischen bereits abgelaufen sei. Der Leiter des Werks Isar 2 habe bereits seit längerem darauf hingewiesen, dass nur bei einer Entscheidung über die Verlängerung bis Ende Mai zu den Themen Personal, Brennstoffnachschub und Sicherheitsprüpfungen noch rechtzeitig gehandelt werden könne. Diese Frist sei nun ergebnislos verstrichen:

SUEDDEUTSCHE

Auch der SPIEGEL widmet sich erneut der Frage, ob eine weitere Nutzung der Kernkraft in Deutschland sinnvoll sei und sich der Weiterbetrieb der letzten noch aktiven Reaktoren und ggf. die Wiederinbetriebnahme der zuletzt abgeschalteten Werke vor dem Hintergund einer möglichen Eneregiekrise infolge des Ukraine-Kriegs lohne und überhaupt faktisch möglich sei. Dem Weiterbetrieb widerspricht der Umwelthistoriker Frank Uekötter: »Kernkraftwerke sind keine Kaffeemaschinen, die man an- und ausknipst.«, so der Wissenschaftler im Interview mit dem Blatt:

SPIEGEL

Der Umwelt- und der Wirtschaftsausschuss im EU-Parlament haben sich gegen Pläne der EU-Kommission ausgesprochen, Kernkraft und Gas zumindest übergangsweise als umweltfreundliche Energien einzustufen. Die gemeinsame Entscheidung fiel laut EU-Parlament mit 76 zu 62 Stimmen bei 4 Enthaltungen. Die Brüsseler Behörde hatte vorgeschlagen, die beiden Energiequellen in die sogenannte Taxonomie aufzunehmen. Die Taxonomie ist eine Art Katalog für Investoren, welche Vorhaben im Kampf gegen die Klimakrise helfen. Der Tagesspiegel fasst die Details zusammen:

TAGESSPIEGEL

Das Kernkraftwerk im schweizerischen Leibstadt steht erneut still: Dabei handele es sich um die geplante Jahresrevision des Werkes.
950 externe Fachkräfte begannen ihre Arbeit Mitte des Monats Juni, nachdem die Anlage erst seit 6 Monaten nach einer vorherigen Revisionsphase wieder in Betrieb war. Die jetzige Revision dauere lediglich einen Monat, so der Südkurier:

SUEDKURIER

Ebenfalls in der Schweiz befindet sich das Kernkraftwerk Gösgen-Däniken, das ebenfalls am Ende einer fünfwöchigen Revision steht. Das Otner Tageblatt hat diesen Prozess in einer dreiteiligen Serie ausführlich begleitet und dokumentiert, der dritte Teil dieser Reportage beschäftigt sich jetzt mit der Wiederinbetriebnahme des Werks:

OLTNERTAGEBLATT

Expert:innen zufolge ist der Plan der polnischen Regierung, bis 2033 ein erstes Kernkraftwerk und bis 2043 sechs weitere Reaktoren in Betrieb zu nehmen, zu ehrgeizig. Polen, das in hohem Maße von fossilen Brennstoffen abhängig ist und über keine kommerziell genutzten Kernkraftwerke verfügt, kündigte im August 2020 an, es werde sechs Kernreaktoren in Betrieb nehmen. Als Standort für diese Reaktoren ist die an der Ostseeküste gelegene Gemeinde Choczewo in Nordpolen vorgesehen. Angesichts der Klimakrise und der Notwendigkeit, von russischem Brennstoff unabhängig zu werden, bemühe sich die Regierung nun darum, so schnell wie möglich ein erstes Kernkraftwerk zu errichten. Die Regierungsvertreter:innen versicherten, dass die erste Anlage wie geplant gebaut werden soll. Einige Expert:innen aus dem Energiebereich, darunter der stellvertretende Chefredakteur von Energetyka24.com, Jakub Wiech, stellen diesen Optimismus jedoch infrage, wie das europäische Mediennetzwerk Euractiv dokumentiert:

EURAKTIV

Kühltürme von Kernkraftwerken können als „Klimagas-Fänger“ wirken, so das Fachmagazin Ingenieur.de. Pro Jahr sollen durch zwei US-amerikanische Reaktoren so 250.000 Tonnen unschädlich eingefangen und in tiefen geologischen Formationen endgelagert werden können. Die beiden Reaktoren des Kernkraftwerks Byron im US-Bundesstaat Illinois seien also faktisch gut fürs Klima. In einem Großversuch würden sie aktuell so umgebaut, dass sie bei einer Leistung von 2.347 MW nicht nur eine Menge Strom erzeugen, sondern auch große Menge CO2 aus der Atmosphäre saugen könnten. Die Investitionskosten lägen bei 3.125 Mio. US-$, von denen das US-Energieministerium lediglich 2,5 Mio. US-$ tragen würde, so der Beitrag:

INGENIEUR

Von einer „Zeitenwende zwischen Schafen und Schornsteinen“ spricht die Süddeutsche Zeitung in einem ausführlich bebilderten Feature, das mit einem Luftbild des KKW Brunsbüttel aufmacht. An keinem Ort in Deutschland, so das Blatt, zeige sich die aktuelle Energiepolitik so exemplarisch. Während das örtliche KKW zurückgebaut werde, entstehe in unmittelbarer Nachbarschaft ein Terminal für LNG, also flüssiges Erdgas. Die Süddeutsche stellt sich die Frage, ob dies nicht einen Rückschritt darstelle:

SUEDDEUTSCHE